26.06.2010

Steuerhinterziehung kein "Kavaliersdelikt" mehr

 
       
       
Der Novellenentwurf lässt eine exzessive Kriminalisierung der Steuerhinterziehung befürchten. Es sollen auch zwingende Freiheitsstrafen verhängt werden oder der Verzicht auf Rechtsmittel gefördert werden.

Finanzminister Josef Pröll plant eine deutliche Verschärfung des Finanzstrafrechts. Die nachvollziehbare Absicht besteht darin, Finanzvergehen endgültig den Nimbus von "Gentlemendelikten" zu nehmen und die Sanktionen für schwere Steuerhinterziehung jenen für vergleichbare Tatbestände im Strafgesetzbuch (insbesondere Betrug) gleichzustellen.Derzeit regelt das Finanzstrafgesetz das Sanktionensystem so: Primär ist eine Geldstrafe zwingend zu verhängen, die regelmäßig von der Höhe der Verkürzung abgeleitet wird; zusätzlich können bei Abgabenhinterziehungen in erheblicher Höhe auch Freiheitsstrafen verhängt werden. Diese Freiheitsstrafdrohungen wurden 2004 und 2006 maßgeblich erhöht. Für den Fall, dass die Abgabenhinterziehung gewerbsmäßig begangen wurde (im Finanzstrafrecht der Regelfall) und 500.000 bzw. drei Mio. Euro überschritten hat, kann zusätzlich zur Geldstrafe eine Freiheitsstrafe von maximal fünf bzw. sieben Jahren verhängt werden.

Der Entwurf geht einen neuen Weg und bildet bei Abgabenhinterziehung drei Deliktstufen:

  • Eine Abgabenhinterziehung ist grundsätzlich mit einer Geldstrafe von bis zu 60.000 Euro zu bestrafen. Übersteigt die Verkürzung 30.000 Euro, beträgt die Geldstrafe bis zu 200.000 Euro; zusätzlich kann auch auf bis zu drei Monaten Freiheitsstrafe erkannt werden.
  • Bei Abgabenhinterziehung mit einem Verkürzungsbetrag über 100.000 Euro ist primär auf bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe zu erkennen und (zwingend!) auf Geldstrafe bis zu zwei Mio. Euro.
  • Bei gewerbsmäßiger Abgabenhinterziehung erhöht sich die primär zu verhängende Freiheitsstrafdrohung jenseits der Verkürzungshöhe von 500.000 Euro auf fünf Jahre; der Sanktionsrahmen bis sieben Jahre wurde eliminiert.


Die primär zu verhängende Freiheitsstrafe kann durch eine Geldstrafe ersetzt werden, sofern die Haftstrafe nicht aus Gründen der Prävention geboten erscheint (§ 37 StGB), und zwar mit einer Geldstrafe bis 500.000 Euro, wenn für die Tat nicht mehr als fünf Jahre Freiheitsstrafe angedroht ist und auf eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten zu erkennen gewesen wäre. In diesem Fall sind zwei Geldstrafen zu verhängen.

Die Strafen könnten künftig also deutlich drakonischer ausfallen. Ein Beispiel: Angenommen, ein bisher unbescholtener Steuerpflichtiger hinterzieht 101.000 Euro Einkommensteuer. Derzeit drohen ihm maximal 202.000 Euro Geldstrafe; gängige Strafpraxis sind rund 50.000 Euro. Weil keine Präventionserfordernisse vorliegen, gibt es keine Freiheitsstrafe.

Sechsmal schärfere Sanktion
Nach neuem Recht ist hingegen zwingend eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zu verhängen. Allerdings wird an ihre Stelle in unserem Fall eine Geldstrafe von z. B. 100.000 Euro treten, zuzüglich einer zwingenden Geldstrafe von bis zu zwei Mio. Euro. Wird sie beispielsweise mit 200.000 Euro bemessen, ergibt sich eine Gesamtgeldstrafe von 300.000 Euro: eine Versechsfachung gegenüber der geltenden Rechtslage!

Noch dramatischer zeigt sich diese Verschärfung beim neuen Tatbestand des Steuerbetrugs (§39 FinStrG). Dort findet sich eine primäre Freiheitsstrafdrohung von mindestens einem Jahr bis zu zehn Jahren. Diese Freiheitsstrafe deckt sich mit der Strafe für schweren Betrug (§ 147 Abs 3 StGB). Allerdings kann eine zusätzliche Geldstrafe von bis zu zwei Mio. Euro verhängt werden. Somit wird der Täter des Abgabenbetrugs viel strenger bestraft als der Täter des schweren Betrugs.

Die Sorge einer exzessiven Kriminalisierung von Steuerhinterziehung wird dadurch genährt, dass dieser neu geschaffene Abgabenbetrug weite Bereiche der Abgabenkriminalität erfassen wird. Die Grundfälle:

  • Abgaben werden unter Verwendung falscher oder verfälschter Urkunden, Daten oder anderer solcher Beweismittel (wobei Abgabenerklärungen, Gewinnermittlungen nicht als solche verpönte Beweismittel gelten) hinterzogen.
  • Abgaben werden unter Täuschung über für die Zurechnung von Einkünften oder Wirtschaftsgütern maßgebende Umstände hinterzogen.
  • Abgaben werden unter Verwendung von Scheingeschäften oder anderen Scheinhandlungen hinterzogen.


Darunter fällt nicht nur der „Umsatzsteuerbetrüger“, der mit einer Scheinrechnung Vorsteuern erschleicht, sondern auch ein Steuerpflichtiger, der durch Rückdatierung einer Angehörigenvereinbarung den Zufluss einer verdeckten Gewinnausschüttung ungeschehen machen will (Variante 1); oder ein Geschäftsführer, der Verrechnungspreise vorsätzlich unrichtig zur Anwendung bringt (Gewinnverschiebungen) und dabei die Funktionen der Konzerngesellschaften nicht vollständig darstellt (Variante 2).

Es ist zuzugestehen, dass es äußerst schwierig ist, besonders strafwürdige Abgabenkriminalität scharf abzugrenzen, aber es muss befürchtet werden, dass diese weite Fassung des Tatbestands auch minderstrafwürdige Abgabenhinterziehungen erfasst und eine exzessive Bestrafung heraufbeschwört.

Vortat zur Geldwäscherei
Dazu kommt, dass im Entwurf Abgabenhinterziehung mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafdrohung als Verbrechen klassifiziert wird und somit eine Vortat der Geldwäscherei darstellt. Damit ist nicht nur der Abgabenbetrug Vortat der Geldwäscherei, sondern auch die gewerbsmäßige Abgabenhinterziehung mit Verkürzung über 500.000 Euro. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist allerdings sehr eingeschränkt, weil eine bloße Ersparnis von Abgaben nach herrschender Ansicht nicht aus einer Straftat herrührt und damit nicht „kontaminiert“ ist. Freilich führt ein etwa durch Scheinrechnungen erschlichener Vorsteuerabzug sehr wohl zu kontaminiertem Vermögen. Dass diese Regelung die österreichischen Banken in große Nöte mit ihren unternehmerischen Kunden stürzen kann, ist leicht vorstellbar.

Von besonderem Interesse erscheint ein neuer Strafaufhebungsgrund (§ 30a FinStrG): Damit wird ein „Deal“ bei geringfügigen Hinterziehungen und fahrlässigen Verkürzungen ermöglicht, die bei Außenprüfungen festgestellt werden, sofern noch kein Strafverfahren anhängig ist. Erreicht die festgestellte Verkürzung maximal 10.000 Euro, kann der Steuerpflichtige durch einen Rechtsmittelverzicht und Zahlung eines Zuschlags von zehn Prozent eine Strafverfolgung abwenden (es gibt auch keine Eintragung im Strafregister).

Das offenkundige Ziel ist grundsätzlich zu begrüßen: Die ohnehin zu knappen Ressourcen der Finanzstrafbehörden sollen auf schwerwiegende Finanzvergehen konzentriert werden. Es wird wohl gelingen, viele Kleinverfahren im Keim zu ersticken. Für den Betroffenen wird allerdings ein nicht unerheblicher Druck entstehen, im Zweifel den Zuschlag zu „schlucken“.

Hoffentlich mit Augenmaß
Dass der Gesetzgeber in Zeiten wie diesen besonders streng gegen Abgabenverkürzung jeder Art vorgeht, ist nachvollziehbar. Es ist zu hoffen, dass dies mit Augenmaß erfolgt und im Begutachtungsverfahren noch Nachjustierungen vorgenommen werden. Genauso wichtig wie strenge Sanktionierung wäre es, das Vertrauen der Bürger in den Steuerrechtsstaat zu stärken und damit wieder eine solidarische Gesinnung der Steuerbürger sicherzustellen. Dies hätte zur Voraussetzung, strafunwürdiges Verhalten wie etwa leicht fahrlässiges Verhalten straffrei zu stellen. Im Gegenzug sollte die Einhaltung der Steuervorschriften streng und durchgängig kontrolliert werden, sodass der rechtstreue Steuerpflichtige sich nicht als der „Dumme“ fühlt.

Quelle: Hon.-Prof. Dr. Roman Leitner, "Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2010

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